2001 “Offene Fenster zur bunten Wirklichkeit”, Dieter Göllner

Offene Fenster zur bunten Wirklichkeit
Dieter Göllner
in: ‘Junge Kunst’, No. 52, Jan. 2002


Junges, weltgereistes Künstlerpaar sucht kreative Ruhe im Westerwald. Stippvisite bei Deborah Poynton in ihrem neuen Zuhause.

Neugierig waren sie allemal, die Einwohner des Dorfes Strauscheid bei Neustadt/Wied. Vor allem die älteren Semester, die noch in dem alten Steinbau mit den grossen Fenstern zur Schule gegangen waren. Neugierig darauf, wer da wohl eingezogen sei, was sich so hinter der Fassade abspiele. Und wer einen Blick hinein nicht scheute, sah viele bunte Bilder an Wanden hängen und überall im Raum stehen. Mittendrin eine Staffelei und davor eine sitzende weibliche Person. Schon bald kam die Entwarnung … Die in kreative Gedanken versunkene Frau heisst übrigens Deborah Poynton und in die alte Schule ist eben junge Kunst eingezogen.

Neue Heimat, neue Chancen
Seit einem guten halben Jahr ist die ehemalige Dorfschule aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht und mittlerweile zur Dauerbaustelle geworden. Denn das Künstlerpaar, das dieses idyllisch-romantische Gebaude samt Kind, Hund und Katze bewohnt, will sich hier wohl fühlen, sich eine kleine aber feine Oase schaffen, in der es sich nach vielen länderubergreifenden Streifzugen, die für das Metier nötige kreative Ruhe gonnen kann. Und wie so oft bisher, werden Teile der neuen Welt in die Werke der Malerin einfliessen, die Skulpturen und Ton-Kunstwerke ihres Partners beeinflussen. Deborah Poynton ist glücklich darüber, dass sie als Neuansiedler von den Einwohnern akzeptiert, mittlerweile sogar freundlich behandelt werden. “Ich weiss, es wird eine Weile dauern, bis wir uns hier in Deutschland durchschlagen, künstlerisch etablieren konnen. Aber die Voraussetzungen sind mit unserem Umzug hierher geschaffen.”

Deborah Poynton wurde 1970 in Durban, Südafrika, geboren, hat mehrere Jahre in England und in den Vereinigten Staaten gelebt. Die letzten zehn Jahre hat sie erneut in Kapstadt verbracht, wo sie auch die ersten öffentlichen Erfahrungen als Künstlerin machte. Bereits 1995 beteiligte sie sich an verschiedenen Gruppenausstellungen, 1998 hatte sie ihre erste Einzelausstellung in der Everard Read Gallery. Mittlerweile haben ihre Malereien bei Galeristen und Kunstvermittlern Anerkennung gefunden. Trotzdem musste Deboarh Poynton persönlich erfahren, wie schwer es war, sich auf dem recht kleinen südafrikanischen Kunstmarkt zu etablieren. “Irgendwie hat es an Promotion gefehlt. Erst kurz vor meinem Umzug haben bekannte Galeristen wie Michael Stevenson oder Linda Gundmann mehr Interesse an meinen Werken gezeigt und mich in der Kunstszene vermittelt.” So ein Pech, mag man aufs erste denken, dass die Kunstlerin gerade jetzt, wenn der Aufschwung spürbar wird, das Land verlasst. Aber Deborah Poynton ist entschlossen, die Brücken nach Südafrika nicht abzureissen. Vor wenigen Wochen war sie mai kurz “unten”, um wichtige Ausstellungen vorzubereiten.

Doch was steckt eigentlich hinter dem Entschluss, alles Hab und Gut in Container zu packen, mit dem aus einer Erbschaft verbliebenen Geld einen Neuanfang in Deutschland zu wagen? Nun, Deborah Poynton mochte einerseits neue Chancen fur ihre Malerei wahrnehmen und andererseits soll sich auch ihr Partner, Niklas Zimmer – der übrigens Bildhauerei in Kapstadt studiert hat – beruflich entwickein können. Im Herbst d.J. beginnt er dafur ein ergänzendes Studium und hofft, dass sich auch die Nähe zur eigenen Familie und zu Freunden positiv auswirkt. Dass Niklas nebenbei fleissig am gekauften Haus renoviert und gelegentlich musikalische Projekte umsetzt, versteht sich von selbst.

Ambivalenz menschlichen Daseins

Die Bilder von Deborah Poynton sind voller Leben, sie stellen fast ausschliesslich Menschen dar. Es sind Menschen aus dem Alltag der Künstlerin – von ihren Zieheltern Jean und David über südafrikanische Stradenpassanten bis hin zu Ehemann Niklas und Söhnchen Wilder.
Deborah Poynton porträtiert ihre Gegenuber in detaillierten Studien, sucht deren innere Wahrheiten und setzt sie in einen analytischen Dialog mit der Realitat des Äusseren. Sie wirkt in ihren Darstellungen sehr personlich, beschreibt manchmal Momente des täglichen Rituals, verwendet Dinge und Motive ihres direkten Umfeldes. “Meine Malerei ist zugleich Realitat und Vision, wobei ich gerne mit komischen Elementen spiele.”
In einem grossformatlgen, zweiteiligen Bild Playing the Game beispielsweise sind Menschen dargestellt, die sich beim Tauziehen anstrengen, aber in Wirklichkeit kein Seil in den Handen halten. Die Moral: Menschen erliegen oft einem falschen Ehrgeiz, sie betreiben Anstrengungen, die eigentlich nicht notwendig sind.

“Ein Porträt ist fur mich immer auch ein Gleichnis des menschlichen Daseins mit seinen unausweichlichen Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen” gesteht die Künstlerin. Wie selbstverständlich tauchen in der Malerei der Südafrikanerin Elemente des “Apartheid-Themas auf, sie zeigt sich subtil aber entschieden sozial engagiert.
“Kunst ist nicht geographisch definiert” sagt die Malerin zwischen den Welten.
“Ich kann überall gleich gut arbeiten -auch wenn die jeweils momentane Umgebung mein schöpferisches Denken beeinflusst.”

Selbst das Kinderkriegen hat sich auf Deborah Poynton – die kurz nach diesem Atelierbesuch einem zweiten Sohn das Leben schenkte – künstlerisch ausgewirkt. Nach der Geburt ihres ersten Kindes ist ein Tryptichon von 2 x 3 Meter entstanden, Being Here, quasi “ein groBes Bild für einen kleinen Mann”. Kein Zweifel, der Nachwuchs beflügelt eine junge Malerin und Mutter, auch wenn die Prioritaten immer ofter neu geordnet werden müssen. Die Entlastung durch ein Au-Pair-Mädchen und natürlich den hilfsbereiten Ehemann ist genauso willkommen wie notwendig. Dass Deborah und Niklas ihre Umwelt aüsserst genau beobachten, um sie dann künstlerisch zu verarbeiten, bezeugen auch die unzähligen Fotos, die sie von Menschen, von Pflanzen und Tieren “schiessen”. Die Malereien wirken daher auch sehr authentisch, mal filigran, mal kraftig, aber sehr naturnah und emotional.
Was nun noch fehlt, muss schleunigst in Angriff genommen bzw. umgesetzt werden: “Wir wollen viele Künstler und Kunstfreunde treffen, mit Galeristen und Kunstvermittlern sprechen. Wir mochten die vielen Möglichkeiten des künstlerischen Verbandslebens ausloten, uns demnachst auch im Internet vorstellen, deutschsprachige Kataloge und Präsentationen drucken lassen. Besonders von einer Mitgliedschaft im ‘Förderverein Junge Kunst’ versprechen wir uns wertvolle Orientierungshilfe.”

Und an konkreten Projekten in Deutschland soll es auch nicht fehlen. “Vielleicht ändere ich meine Meinung und bewerbe mich eines Tages fur einen Kunstpreis oder ein Stipendium” sinniert die Malerin, die bisher gar nicht so sehr mit der Öffentlichkeit kokettiert hat.
Was kann man da nur wünschen? Neuer Hafen, neues Gluck …

© 2001 Dieter Göllner